Wie in Gemeinden engagierte Initiativen entstehen und was sie Städten voraushaben, recherchierte Stefanie Braunisch.
Die 3.519 EinwohnerInnen-Gemeinde Pfaffstätten, nur drei Kilometer von Baden entfernt, liegt im „Speckgürtel“ Wiens. Von der Badner Bahn zum Gemeindeamt geht es an einem Weingarten, dem örtlichen Fußballverein und alten Weinkellern vorbei. Aus Wien kommend wirkt es ländlich und etwas ab vom Schuss.
Engstirnig, rückwärtsgewandt und nicht auf der Höhe der Zeit: Wenn es um Weltoffenheit und Engagement über den eigenen Tellerrand hinweg geht, wird ländlichen Gebieten und ihren Bewohnerinnen und Bewohnern oftmals ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. In Österreich gibt es allerdings zahlreiche progressive kleine Gemeinden mit aktiven Bürgerinnen und Bürgern.
In Pfaffstätten schreiben die Menschen Engagement groß: Die Ortschaft ist eine Gesunde Gemeinde, FAIRTRADE-Gemeinde, Mitglied beim Klimabündnis, Bodenbündnis und des Biosphärenparks Wienerwald. Seit 2015 gibt es zudem die Integrations-Initiative „Together Pfaffstätten“.
Nachhaltigkeit ist ein Begriff, den man in Pfaffstätten oft hört, in unterschiedlichem Zusammenhang. Im Bereich Umwelt und Konsum hat das viel mit Viktor Paar zu tun. Er ist Polizist und sitzt für die ÖVP im Gemeinderat. Mittlerweile übt Paar zudem die Funktion des Obmanns des Bauausschusses aus. Umwelt, sein altes Ressort, beschäftigt ihn nach wie vor ebenso. Und: Der Revierinspektor ist Verfechter des Fairen Handels.
Pfaffstätten ist seit 2011 eine FAIRTRADE-Gemeinde. Damals wurde im Gemeinderat eine Resolution verabschiedet und ein Arbeitskreis gebildet. Paar ist stolz auf diesen Schritt: „Wir haben es geschafft, unsere Idee umzusetzen. Das ging nur, weil wir verlässliche Partner wie die Volksschule und den Seniorenbund haben.“ Heute bietet der lokale Markt FAIRTRADE-Produkte an, bei eigenen Veranstaltungen, Geschenkkörben etc. achtet die Gemeinde darauf, nur fair gehandelte Produkte zu verwenden. Regelmäßig, etwa beim jährlichen Neujahrsempfang, wird über die laufenden FAIRTRADE-Aktivitäten informiert.
VorkämpferInnen. VorreiterInnen wie Paar übernehmen in Gemeinden eine wichtige Rolle. „Man braucht ein gewisses Knowhow, um Ideen zu verbreiten“, so der Soziologe Michael Parzer. „Menschen, die in Vereinen oder im Gemeinderat aktiv sind, haben mehr soziales Kapital dafür.“
In Pfaffstätten geht viel Engagement von der IG Pfaffstättner Frauen aus. Die überparteiliche Interessengruppe trifft sich in der Regel einmal im Monat und organisiert Kinoabende, Wanderungen und Feste. Viele der Mitglieder sind auch bei anderen Initiativen oder in der Pfarre tätig.
Auch die Initiative „Together Pfaffstätten“, die sich der Betreuung von Flüchtlingen widmet, ist auf Anregung des Frauennetzwerks entstanden. Obwohl alle HelferInnen willkommen sind, sind auch hier hauptsächlich Frauen bei der Betreuung von geflüchteten Menschen aktiv.
Das gemeinsame Ziel, für Neuangekommenen da zu sein, verbindet. Für Irene Beckmann und Irmgard Strasser ist besonders die persönliche Beziehung zu den Neuankömmlingen entscheidend: „Integration funktioniert in kleineren Gruppen, weil man einfach mehr Kontakt hat und die Leute besser kennt“, betont Irene Beckmann. „Die Menschen, die wir betreuen, haben durch uns ein Stück Österreich und der österreichischen Kultur erfahren. Und auch unser Horizont hat sich im interkulturellen Austausch erweitert.“
Gemeinden und „ihre“ Flüchtlinge
Alberschwende (Vorarlberg): In Alberschwende im Bregenzerwald formierte sich breiter Protest unter der Bevölkerung, als 2015 fünf syrische Flüchtlinge nach Ungarn abgeschoben werden sollten. Die Initiative „Wir sind Asyl“ kämpfte für die neu Angekommenen und konnte deren Bleiben erwirken. Die Gruppe ist auch in Sachen Integration aktiv.
Gleisdorf (Steiermark): Die Plattform „I am Gleisdorf“ in der oststeirischen Kleinstadt bietet AsylwerberInnen Deutschkurse, Hilfe bei der Wohnraumsuche und Jobvermittlung. Im Bedarfsfall organisieren die rund 40 freiwilligen HelferInnen psychologische Betreuung, organisieren Sachspenden und gemeinsame Koch- und Kulturabende.
Eichgraben (Niederösterreich): In der 4.500 EinwohnerInnen-Gemeinde bietet die Initiative Mosaik Eichgraben Deutschkurse, Kreativworkshops und Kochabende für rund 120 Flüchtlinge. Florian Klenk, Chefredakteur der Wochenzeitung Falter, ging anhand der Marktgemeinde im Wienerwald mit JournalismusstudentInnen der FH Wien der Frage nach, wie Integration auf Gemeindeebene funktionieren kann. Die Ergebnisse wurden im Rahmen des Recherche-Projektes „zum Beispiel Eichgraben“ multimedial präsentiert: www.zbeichgraben.at
Gemeinde Laakirchen (Oberösterreich): Der Verein „Laafit“ bietet AsylwerberInnen in Laakirchen Unterstützung auf vielen Ebenen. Einerseits Hilfe im Alltag, bei Behördenwegen oder der Wohnungssuche und der Koordination von Sachspenden. Mit Sprachkursen und gemeinsamen Wanderungen, Bastelabenden und Neujahrsfesten gehen Freiwillige andererseits auch auf zwischenmenschlicher Ebene auf Flüchtlinge zu.
Gute Erfahrungen. Rund zwei Drittel der österreichischen Gemeinden haben Angaben des Gemeindebundes zu Folge Asylsuchende aufgenommen, dabei relativ viele kleinere Gemeinden.
Dass Integration hier besonders funktioniert, zeigt eine Studie des Marktforschungsinstituts Fessel GFK: In kleinen Orten und mit einer überschaubaren Zahl von Asylsuchenden haben Bürgermeister überwiegend gute Erfahrungen gemacht. In Gemeinden mit weniger als 2.500 EinwohnerInnen haben 41 Prozent nun eine eher positive Einstellung gegenüber Flüchtlingen. In Großstädten sind es demnach nur 26 Prozent.
In vielen Fällen sind die Aufnahme-Verfahren schon abgeschlossen. So auch in Pfaffstätten: alle 25 Personen haben bereits den Status von anerkannten Flüchtlingen.
Dorf-Solidarität. Auch dort, wo es Herausforderungen gibt, zeigt sich die ländliche Solidarität mit den Neuzugezogenen: Im Fall von Abschiebungen sind es mitunter ganze Dörfer, die sich für den Verbleib der gerade erst lieb gewonnenen Mitbürgerinnen und Mitbürger einsetzen.
In manchen Fällen kommt es zur Spaltung der Bevölkerung in zwei Lager. Die Ansiedlung von Flüchtlingen in Gemeinden polarisiert mitunter. Dadurch, dass sich ein Teil der Bevölkerung dagegen ausspricht, werden oftmals andere aktiviert, die für die Asylsuchenden einstehen: „Wenn es für die Entstehung von Initiativen ein Muster gibt, dann bilden sich diese häufig in Gemeinden, in denen Flüchtlinge einquartiert werden und es Widerstand dagegen gibt“, führt Herbert Langthaler von der Asylkoordination aus. „Oft formiert sich da wiederum Widerstand gegen diese Vorurteile und aus dieser Auseinandersetzung bilden sich Initiativen, die Flüchtlinge wirklich nachhaltig unterstützen.“
Der Asyl-Experte sieht zudem Unterschiede zwischen heute und früher. Aktuell gäbe es mehr ehrenamtliche HelferInnen als noch vor ein paar Jahren: „Jetzt gibt es in fast jeder Gemeinde, in der Flüchtlinge untergebracht sind, jemanden, der sie berät und für sie da ist.“
Heterogene Provinz. Ist beim Engagement auf dem Land der direkte Kontakt zwischen Menschen durch die kleineren Dimensionen allein entscheidend? Für Soziologe Parzer ist die Bevölkerung am Land tendenziell durchlässiger: „Die alltäglichen Netzwerke sind am Land meist nicht so homogen wie in der Stadt und haben damit mehr brückenbauendes Potential“, erläutert der Wissenschaftler der Universität Wien. „Unabhängig von Beruf, Bildung oder Milieuzugehörigkeit kann sich dadurch etwa die Idee von Nachhaltigkeit leichter in allen Gesellschaftsschichten verbreiten.“
In kleineren Gemeinden gehen Kinder aus allen Bildungs- und Einkommensschichten gemeinsam in die Schule, können Erfahrungen und Erlebnisse austauschen. In der Volksschule in Pfaffstätten kommen die unterschiedlichen Themen wieder zusammen: Auch nachhaltiger Konsum ist hier wichtig, bei der Schuljause, in Workshops und beim Ferienspiel. Entwickeln Kinder ein Bewusstsein, wirkt das auch auf ihre Eltern, so Parzer.
Auch in Sachen Integration ist die Schule ein Ort der Begegnung. Das gesellschaftliche Zusammenwachsen wird laut Asyl-Experte Langthaler schwieriger, wenn Flüchtlinge nicht mehr im schulpflichtigen Alter sind und dadurch keine Möglichkeit zum weiteren Schulbesuch haben.
In Pfaffstätten lernen Freiwillige mit Kindern aus Syrien und dem Irak. Durch persönliche Kontakte, Überzeugungsarbeit und Hartnäckigkeit haben sie es geschafft, einem 16-jährigen Flüchtling einen Platz im Gymnasium im benachbarten Baden zu organisieren.
Eigene Ideen. Ob fairer Handel oder Flüchtlingshilfe: Besonders vielversprechend sind laut Parzer Ideen, die aus der Bevölkerung selbst kommen. „Together Pfaffstätten“ z.B. finanziert sich selbst über Spenden und ist nicht an Entscheidungen des Gemeinderates gebunden.
Eigenständige Initiativen sind für Viktor Paar eine wichtige Bereicherung für Gemeinden: „Wir als Vertreter müssen diese Freiwilligkeit zu 100 Prozent unterstützen“, so der Gemeinderat. „Ein gutes Miteinander muss unser gemeinsames Ziel sein.“
Stefanie Braunisch, Journalistin aus Wien, arbeitet für die Investigativplattform Dossier und als freie Kulturjournalistin.
Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!
Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.
Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.
Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!
Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.